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Welcome to my blog. I document my adventures in travel, style, and food. Hope you have a nice stay!

Tisch 7

Fotos & Text: Jan-Peter Westermann


„Ach Mensch, Papi, ich bin da raus, Amaya muss später schlafen, zappelt womöglich da nur rum und im Restaurant sind die ja auch nicht so heiß auf unseren Besuch mit einer Zweijährigen.“ Sagt mir meine Tochter Lina, während Amaya zu ihren Füßen in der Plastikwanne badet. „Lina, du weißt, ich hab gestern unsere Reservierung bestätigt und der Spaß wird genauso teuer, ob wir nun hingehen oder nicht! Ansonsten habe ich dem Skeptiker bei „Reservas Kjolle“ heute Morgen noch per Mail erwidert, dass wir für unsere Kleine keine Pasta/Tomatensoße von Ihnen erwarten“.

„Pia Leon ist Kinderkochbuchautorin, ich bin guter Hoffnung, dass das klappt mit uns.“, beschwichtige ich.

15 Minuten lang versuchen wir noch Freunde oder Familienmitglieder zu aktivieren, die für unsere Lina mit Amaya einspringen - keiner kann sich so kurzfristig freinehmen und damit ist beschlossen, dass Amaya sechs Tage vor ihrem zweiten Geburtstag ihr erstes Sterne-Restaurant besucht.

Und was für eins: 2021 wird Pia Leon als „Best Female Chef in the World“ ausgezeichnet. Mit ihrem Ehemann Virgilio Martinez und dessen Schwester Malena Martinez ist sie verantwortlich für drei führende Toprestaurants in Peru. „Casa Tupac“ beheimatet das „Kjolle“ und das „Central“ nebeneinander in Barranco, dem bohemen Stadteil von Lima. Das „Mil“, welches bei Cusco auf 3500 Meter Höhe residiert, ist Restaurant, Wirkungsstätte und „Centro de Investigation“ zugleich, welcher den Schwerpunkt von Malena bildet. Mit der „Fundation Mater“ verfolgen die Drei eine Küche, die sich der Nutzung und Erforschung der Biodiversität Perus verschreibt mit all ihren kulturellen, ethnischen und regionalen Prägungen.

Das das Casa Tupac mit dem Kjolle und dem Central nicht nur zwei weitere „Gourmettempel“ repräsentiert, spüren wir sofort beim Aufschwingen des rostigen Stahltores vor unseren Augen in der Avenida Pedro de Osma 301. Der Weg fließt in einen „Jardin Botanico“, der in seinem Verlauf siebzehn verschiedene Kulturpflanzen Perus beherbergt und uns Achiote, Ichu, Piano, Muña, Huacatay, aber auch Kakao und Kaffee und Algodon (Baumwolle) anschaulich in natura wie auch als botanische Zeichnung näherbringt.

Janne bittet uns an einem schattigen, mit Schaukästen und Regalen bestückten Arkadengang zu einem Erfrischungsgetränk, welches auch Amaya zusagt. Während wir an der Infusion aus Paico und anderen Essenzen schlürfen, werden wir ins Restaurant gebeten. Weiterhin exotische Pflanzen, brünierte Stahlelemente, Beton, ein offener Fahrstuhl aus Glas schwebt mit uns in den ersten Stock und öffnet den Blick auf einen puristisch anmutenden Raum in warmen Tönen. Die Holzdecke, das Stäbchenparkett und besonders die 12 Meter lange Theke aus jadefarbenem Onyx, hinter der die Köche arbeiten, fangen unsere Aufmerksamkeit.

Aber auch Amaya nimmt das Raumerlebnis überraschend gut an. Kinderhochstuhl Fehlanzeige, aber wieso auch, wenn das „Kind“ sich an der Theke von ihrem Stuhl aus hochziehen kann und sofort ein Augenzwinkern von Alonso, dem uns gegenüber agierenden Koch erntet. Ein Wortwechsel mit meiner Frau und schon wissen wir, dass seine Großmutter aus Pucalpa in Perus Amazonas Becken, ihn zum Kochen inspiriert hat. „Heimspiel“ denke ich mit einem Schmunzeln, wo meine Frau in Iquitos zur Welt gekommen ist und nicht im kühlen Hamburger Norden wie ich. Doch auch Iris aus Nazareth, Portugals Surfspot, Libertad und Jerry umsorgen uns entspannt, offen und bei allen Fragen auf den Punkt informiert.

9 Gänge bestückt mit Ingredienzien aus allen Teilen des Landes erwarten uns. Dazu wählen wir die Saftbegleitung, von deren 16 Zutaten ich gerade einmal sechs namentlich kenne.

Der erste Gang „Raices y Kjolle“ hilft Amaya zum Einstieg in das kulinarische Erlebnis. „Anfassen, ich selber, alleine Essen“ ist mit dem warmen saftigen Kastenbrot aus Massa Madre (Sauerteig) kein Problem! Der aufgeschäumte butterähnliche Aufstrich aus „Cabuya“ einer Agavenart schmeckt leicht süßlich. „Mas“ heißt es da nur aus ihrem Mund und wir freuen uns, dass sie das 2. Stück Brot auch ohne Zucken mit dem scharfen „Aji Lima“-versetzten Öl aus der Muñapflanze annimmt.

Lina lenkt sie ab, während der köstliche, in der Säure der Lulo- Frucht gebeizte Cebiche vom Adlerfisch gereicht wird, denn Kleinkinder sollten rohen Fisch meiden. Doch die kleinen runden Tongefäße, die fast der Puppenstube entnommen wirken, sprechen sie an und so ergattert sie hier einen Löffel Sud mit Quinoa und Süßkartoffel oder probiert dort die zur Anschauung mitgereichte „Lulo“-Frucht.

„Acido“(Sauer) prustet es aus ihr heraus und alle Begleiter dieser Szene können sich ihr Lachen nicht verkneifen. Mit ihren hellblonden Locken, den großen blauen Augen und ihrer unverhohlenen Lust am Essen und Probieren hat sie selbst den letzten Skeptiker im Service auf ihre Seite gezogen. Wie selbstverständlich isst sie die weiteren 5 Gänge mit uns mit, probiert die Säfte, lernt die vielfältigen Knollengewächse Perus kennen wie Sacha Papa, Olluco und Maniok.

Als sie nach dem Hauptgang unruhig wird, bestellen wir die beiden Dessertgänge auf einmal und ich tauche mit ihr in den musealen Attraktionen der Casa Tupac ab. Hier ist sie von einer Sammlung von Holzlöffeln sowie Tonschalen andinischen Ursprunges angezogen, dort fasziniert von einer ohrförmigen, vor der Wand schwebenden Installation aus Bast.

Muss man mit einer 2-Jährigen in ein Sternerestaurant gehen? Sicher nicht. Das der Besuch im Kjolle durch Amaya und ihre unschuldige Neugierde zu einem zusätzlich besonderen Erlebnis geworden ist, hatten wir nicht erwartet. Es hat uns bestätigt, das unsere Kinder nicht früh genug an Geschmacks- und Artenvielfalt herangeführt werden können. Weg mit der Kinderkarte in Restaurants, die uns Erwachsenen suggerieren will, das fade Tomatenpasta, Pommes frites oder fettgetränkte Fischstäbchen kinderfreundlich sein sollen. Der Umgang mit Ernährung und ihr kultureller Stellenwert will erlernt sein. Aber auch inklusives Denken in unserer Erwachsenenwelt ist gefordert, ein Ansatz der besonders hier in Casa Tupac verstanden wurde… - bedauerlich nur, das Amaya sich später nicht mehr erinnern wird, um das Erlebte weiter zu tragen.

Aber wofür sind denn sonst Großeltern da?

 

drei Würste und der Wolf

drei Würste und der Wolf

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